Würden die Knie doch nur schon vorher zittern

Hinter mir höre ich drei junge Frauen. Sie lachen, und ich kann hören, dass sie keine Freude empfinden.  Es ist ein höhnisches Lachen, ein überlegendes Lachen. Ein Lachen von drei jungen Frauen, die sich stark fühlen. Ihre Stimmlage ist tief, nicht wie kichernde Mädchen, sondern eher wir Halbstarke, die rauchend und mit Motorädern an einer Ecke stehen und ihren Hass auf die Welt an den Passanten ausprobieren. 

Doch diese jungen Frauen laufen hinter meinem Rücken, dort wo ich sie nicht sehen kann, jedoch spüren und hören. Ihre schweren Stiefel tönen anders auf dem Asphalt als meine dünnen Highheels. Dumpfer. Kräftiger.

Ihre Schritte kommen näher. Angst sagt mir, sie werden Dich angreifen. Vernunft sagt mir: Dreh Dich nicht um! Zeig vorerst keine Reaktion. Nicht solange Du nicht weißt, wie Du reagieren möchtest. Wie bist Du gerade hier?

Meine Aufmerksamkeit ist nach hinten gerichtet, als hätte ich dort erweiterte Sinne*. Kann sie hören, kann sie spüren, wie nah sie sind. Noch sind es 10 Meter, die sie von mir trennen.
Angst fragt: Was werden Sie tun? Werden Sie zuschlagen? Körper atmet flach. Schuhe schreiten aus, unverändert. Kopf zählt die Abstände zwischen den Schritten, damit die veränderte Taktzahl nicht meinen Zustand verrät. Taubstellen. Erhöhte Wachsamkeit. Meine Wahrnehmung erfasst ihre Gegenwart.

Sie sind auf mindestens 8 Meter heran. Lauteres Lachen. “Schau mal, wie die läuft!” Ich weiß nicht, was ich tun soll. Dreifältiges kreischendes Lachen hinter mir. Ich fühle wie sie mutiger werden. Schneller herankommen. Lauter werden. Meine Schritte bleiben gleichmäßig, so rede ich mir ein. Bloss nichts anmerken lassen.

Ruhig, ruhig. Langsamer. Entschleunigen. Ausatmen aus, aus ausatmen. Mein Körper, meine Heimat, läßt mich meine Kraft spüren, trotz der Stöckelschuhe. Meine Muskulatur bereitet sich vor auf einen Kampf. 1 gegen 3? Meine Zähne beißen fest aufeinander. Kiefer entspannen, Bauch weich machen, Schultern runter. Flucht ist nicht mehr möglich. Sie sind zu nah hinter mir. Das traue ich mir nicht zu. Ich weiß, dass ich nicht schneller renne als diese jungen Frauen, sogar mit Turnschuhen. Ohmacht, Kampf, Flucht, Erstarrung: alles lebensrettende Massnahmen unseres Nervensystems in der freien Natur, sind gerade keine Option für meinen hochgradig alarmierten Körper. Wie schön wäre es, jetzt einfach so zu tun, als wenn nichts wäre. Verschwinden oder Unsichtbar werden: Der Totstellreflex ist eine instinktive Re-Aktion des Körpers. Weghören. Vermeiden haben wir Menschen daraus gemacht.

Ich nehme das alles wahr.

Mein Gehirn, mein Freund und Helfer sucht in meinen Tiefen nach einem Bild, einem Wort, einer Kraft, diese bedrohliche Situation zu bewältigen. Was wollen diese drei? Mein Geist erweitert sich: Ich sehe, auch wenn ich es nicht sehe, wie sie sich gegenseitig hochpuschen. Höre ihre noch krasser werdenden, unüberhörbaren Worte: “Was für hässliche Klamotten die trägt. Glaubt wohl, das sieht gut aus!” Alle drei lachen gemeinsam. Sie kommen näher und näher.

In mir ist etwas still. Ganz still. Aus dieser Stille heraus taucht eine Erinnerung auf, aus einem Workshop an dem ich teilgenommen hatte: Wir waren aufgefordert, in der Mittagspause in Frankfurt in die Innenstadt zu gehen und dort einfachen Passanten, ohne Anlass, ohne Grund, ein “Buh” zuzurufen. Wie albern, dachte ich damals und tat es natürlich nicht.

Ich spüre beinahe den Atem der Einen in meinem Nacken. Sie könnte mich gleich berühren, wenn sie ihren Arm ausstreckt. Ich fühle sie hinter mir. Ganz nah. Näher als die anderen zwei. Ihre Provokationen, ihre abfälligen Bemerkungen über mein Aussehen, wie ich laufe, wie ich mich bewege, wie meine Kleidung an meinem Körper hängt, haben einen Höhepunkt erreicht.

Wenn ich nichts tue, haben sie mich gleich eingeholt. Meine Verdauung ruht, mein Adrenalinspiegel und Cortisollevel stellen mir den notwendigen Fokus zur Verfügung. Mein ganzer Körper ist im Überlebensmodus. Ohren, Muskulatur, Sehnen bereit blitzschnell zu agieren und zu reagieren. Ich muß jetzt antworten!

Atmen    –    Beobachten (Interozeption* / Propriozeption* / Vestibulär*)    –    Annehmen    –    Antworten

Mit einer unerwarteten Bewegung drehe ich mich rasant auf dem Absatz um.

“Buh!” puste ich der Anführerin meine Antwort entgegen. Einmal. Kurz. Intensiv. Kraftvoll, in normaler Stimmlage auf Augenhöhe: Meine Kraft hat sie erreicht und berührt. Ihr Gesicht, dass Sie so nah an mich gebracht hat. Meine Entschlossenheit, meine Präsenz dringt in sie ein.

Ihre Knie knicken weg. Einfach so. Ohne vorher zu zittern. Sie knicken ein. Sie liegt auf der Strasse. Nicht im Traum und im jetzigen Moment schon mal gar nicht hat sie genau gespürt, was in ihrem Körper geschieht.

Fassungslos beobachte ich, wie sie am Boden liegt. Nicht einmal berührt habe ich sie. Kein Körperkontakt. Und doch, sie liegt am Boden. Ihre beiden Freundinnen wenden sich gegen sie. Die Anführerin liegt hilflos, verwundert auf der Strasse. Beide Freundinnen weiden sich an dem Anblick, lachen schallend. Halten sich die Bäuche. Sie schlachten die Situation aus, zeigen mit fröhlich  wackelnden Fingern auf die, die am Boden liegt.

Keine hilft ihr auf. Auch ich nicht. Ich bin bereits etliche Meter weitergegangen. Schneller jetzt. Sie ist so verdutzt über die unerwartete, unkontrollierte Re-Aktion ihres angespannten, mit Adrenalin gefluteten Körpers, dass sie einen langen Moment braucht, sich zu sammeln.

Ich jubele innerlich und schöpfe die Erleichterung weidlich aus. Der Druck, die Angst in mir ist weg. Ich lache. Befreit. Alle Anspannung schüttle ich heraus aus meinem Körper.

Ich drehe mich wieder um. Mein Weg liegt vor mir.

Kennst Du die Reaktionen in Deinem Körper, wenn Du Angst spürst und bleibst Du in der Antwort, oder fällst Du in die Reaktion?

Schreibe hier gerne Deinen Kommentar!

Wenn Du lernen möchtest, wie Du mehr und besser mit den biochemischen Vorgängen in Deinem Körper umgehen lernen kannst, melde Dich zum Workshop an “Dein Tanz mit der Angst”.

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Unsere 8 Sinne sind:

Sehen Hören Tasten Schmecken Riechen Gleichgewichtssinn Interozeption & Propriozeption

Propriozeption

Propriozeption ist die Wahrnehmung des Körpers im Raum. Es handelt sich um die Nutzung des Gefühls für die Position und die Bewegung der Gelenke, um auf Belastungen zu reagieren, denen der Körper durch Veränderungen der Haltung und Bewegung ausgesetzt ist.

Das vestibuläre System ist für den Gleichgewichtssinn, die Bewegung und die räumliche Orientierung des Körpers verantwortlich.

Interozeption

Körperzustände umfassen die grundlegenden Funktionen oder physischen Zustände des Körpers, und die Interozeption ermöglicht es uns, das Innere unseres Körpers, einschließlich der Organe und der Haut, zu spüren und uns dessen bewusst zu sein. Sie ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, Empfindungen wie Schmerz, Kitzeln, Juckreiz, Körpertemperatur, Hunger, Durst, Herzfrequenz, Atemfrequenz, Muskelverspannungen, angenehme Berührungen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schläfrigkeit und das Bedürfnis, auf die Toilette zu gehen, zu spüren.

ABAA, der ABAA Prozess erlaubt Dir von einer Reaktion in eine Antwort zu gehen. 

Atmen – mindestens 3 mal. Bewußt. Dabei das Ausatmen länger halten als das Einatmen! Als würdest Du durch einen Strohalm ausatmen.

Beobachte Deine Erfahrung.
Gehe in Kontakt mit 5 Teilen: Herz, Körper, Geist, Essenz und dem Raum um dich herum (Umgebung).

Annehmen

Lasse das alles zu. Sei einfach ein paar Augenblicke lang bei diesen Empfindungen. Dies ist der Schritt, den zu viele von uns überspringen.

Antworten

Nach der gesammelten Einschätzung Deiner Fähigkeiten, Deines körperlichen Zustands inklusive Atemmuster ist es Zeit für eine weitere, kleine Pause. 3 – 5 Sekunden. 

Dann kannst Du antworten, anstatt zu re-agieren, in Klarheit und Bewusstheit.

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